holyEATS #21: Chaostage bei Vapiano, gastronomisches Zeitreisen mit der Bahn, Pret Berlin kommt schwer in die Gänge

holyEATS #21: Chaostage bei Vapiano, gastronomisches Zeitreisen mit der Bahn, Pret Berlin kommt schwer in die Gänge

Inhalt:

Der Vapiano-Chef ist weg. Und hat viele offene Fragen dagelassen.

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Vapiano verkalkuliert sich mit seiner Expansion

Die konsequente Umsetzung unserer Strategie und das Erreichen der Prognosen werden von unseren Investoren honoriert werden und sich nicht zuletzt in einer positiven Kursentwicklung widerspiegeln.“ Sagte der damalige Vapiano-Vorstandsvorsitzende Jochen Halfmann Mitte Juni dieses Jahres der FAZ. Seitdem ist der Aktienkurs des im Sommer davor an der Börse gestarteten Fast-Casual-Gastronomen von 21 Euro auf unter 7 Euro gefallen, weil Vapiano einräumen musste, dass vor allem das Europa-Geschäft schwächer als erwartet läuft. In der vergangenen Woche gab manam Unternehmenssitz in Köln bekannt, sich von Halfmann zu trennen – „im besten beiderseitigen Einvernehmen“ natürlich. Vor allem aber: jetzt. Sofort.

Wenige Tage zuvor hatte Halfmann noch im Gespräch mit der „Welt“ erklärt: „Wir stehen ordentlich da. Auch weil wir uns mit den Kritikpunkten der Gäste auseinandergesetzt und Lösungen entwickelt haben.“ Das scheint der Aufsichtsrat ein bisschen anders zu sehen. Neuer Vorstandsvorsitzender ist Cornelius Everke, der erst seit Mai als COO die Vapiano-Märkte „Rest of World“ und „Rest of Europe“ verantwortet (wobei letzterer mit negativer Umsatzentwicklung entscheidend dazu beigetragen hat, dass Vapiano seine Umsatzprognosen nach unten korrigieren musste).

„Die Krise von Vapiano bedroht den Erfolg der ganzen Branche“, hat sich das „Handelsblatt“ sagen lassen. Zuallererst aber bedroht die Krise natürlich: den Erfolg von Vapiano. Hat die Schnellnudelkette zu zügig expandiert und die Nachfrage überschätzt? Genau das brachte in den vergangenen Monaten zahlreiche Systemgastro-Konzepte in Großbritannien in Bedrängnis (siehe holyEATS #1) – von Gourmet Burger Kitchen bis Jamie’s Italian. (Dem Vapiano gerade den International COO abgeworben hat.)

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Dafür spräche die von Vapiano genannte „nicht planmäßige Entwicklung einiger neu eröffneter Restaurants“. Aber auch darüber hinaus bleiben viele Fragen offen. Zum Beispiel, wie genau die stärkere Konzentration auf „unsere erfolgreichen Kernmärkte“ funktionieren soll, die Everke angekündigt hat.

Heißt das, der bisherige Plan, bis 2020 über 100 neue Vapiano-Restaurants zu eröffnen, ist hinfällig? Und was genau passiert soll Heimatmarkt passieren, der mit einem flächenbereinigten Umsatzwachstum von 1,2 Prozent in den ersten neun Monaten 2018 dafür sorgte, dass die Zahlen nicht noch schlechter ausfielen? 41 weitere Restaurants wollte Halfmann laut FAZ im Sommer für Deutschland in Angriff nehmen („neben zusätzlichen Filialen in Berlin, Frankfurt und München sind auch Eröffnungen in Heidelberg, Konstanz und Ulm geplant“). Im „Welt“-Interview klang das Ende November schon deutlich uneuphorischer. Das Wachstum für klassische Vapiano-Restaurants sein in Deutschland „allmählich erschöpft“. Um stattdessen weitere Mini-Vapianos eröffnen zu können, muss die in Angriff genommene Digitalisierung des Konzepts greifen – genau dort hapert es aber nach wie vor gewaltig (siehe holyEATS #9 und #14). Nebenbei wird auch das bisherige Kernprinzip des „Front Cooking“, mit dem die Kette groß geworden ist, abschafft.

Ein genauerer Blick lohnt sich zudem auf die Geschäftsmodell-Taktik: Im Frühjahr hatte Vapiano unter Halfmann noch angekündigt, stärker auf Joint-Ventures setzen zu wollen (siehe „Food Service“), also eine langsame Abkehr vom klassischen Franchise-Modell, bei dem ein großer Teil des Kapitaleinsatzes für Neueröffnungen auf Partner verlagert wird. Der neue Chef sagt nun, man wolle „vermehrt mit unseren Franchise-Partnern wachsen“ (auf die sich Vapiano bislang vor allem im außereuropäischen Märkten verlässt). Sieht ganz so aus, als wären für die nähere Zukunft noch einige weitere Kehrtwenden aus Köln zu erwarten.


Gastronomisches Zeitreisen im Bahn-Bordbistro

Dass die Deutsche Bahn die Reformbedürftigkeit ihres Speisen- und Getränke-Angebots im Bordbistro erkannt hat (natürlich: mit Verspätung), ist löblich – die Strategie, mit der sie darauf zu reagieren versucht, hingegen ein Rätsel. Nun erwartet kein Schienenreisender auf dem Durchgang von der ersten zur zweiten Klasse extravagante Experimentalküche. Aber zumindest ein Angebot, das zumindest halbwegs den Eindruck erweckt, es entspräche dem Jahr 2018. Die gerade überarbeitete Speisekarte („Genuss auf ganzer Strecke“; hier als PDF) liest sich aber eher wie eine gastronomische Reise zurück in der Zeit, vor allem für rustikale Traditionsesser.

Hinter der versprochenen „Lust auf Abwechslung“ verbergen sich: Chili con Carne, Bolognese-Nudeln, Kartoffeleleintopf. Wer’s richtig ausgefallen mag, bestellt eine „Mediterrane Salamistulle“, „Pizzaschiffchen Margherita“ oder „Apfelstrudel mit Vanillesoße“ (letzteren aber „nur für kurze Zeit“). Die Gerichte mögen geringfügig günstiger sein als bisher, aber vermutlich gewinnt das aufgewärmte „Rindergulasch nach ungarischer Art“ für die meisten Kunden nur geringfügig an Attraktivität, wenn es nun statt 12,90 Euro nur noch 11,90 Euro kostet.

Auf die Idee, mit einem der zahlreichen modernen Unterwegsgastro-Konzepte zu kooperieren, die sich die Bahn gerade für ihre Foodcourt-Tochter „Station Food“ angelt, ist im Berliner Bahn-Tower offensichtlich niemand gekommen. Eine gute Werbung dafür, sich am Bahnhof bereits vor dem Einsteigen in den Zug mit frischen Sandwiches und Salaten zu versorgen, ist das erneuerte Bordbistro-Angebot aber allemal.


Alles brüht, nur einer pennt: Pret verkorkst den Start in Berlin

Apropos Unterwegsgastro: Morgens, halben sieben am Berliner Hauptbahnhof – bei Kamps im Erdgeschoss stehen Kunden Schlange, um Kaffee und belegte Brötchen zu kaufen; in der Filiale eine Etage tiefer ebenso. Bei Einstein auf der gegenüberliegenden Bahnhofsseite, bei Heberer’s im Obergeschoss, bei BackWerk und Le Croissant kaufen Leute Kaffee und Backwaren. (Im Mini-Starbucks wenigstens Kaffee, die Auswahl an attraktiv Belegtem hält sich in Grenzen.) Auf allen Ebenen in dem riesigen Zement- und Metallkoloss herrscht reger Frühstücksbetrieb. Überall? Nein, in einem prominent am Südeingang gelegenen Laden gehen erst langsam die Lichter an.

Der Store Manager füllt geduldig Fruchtriegel aus großen Pappkartons in die Kassenablage; im Küchen-Eck werden sorgsam Aufback-Croissants aufs Blech gelegt. Vorne im Kühlregal fehlen drei Flaschen Cola – eine Mitarbeiterin eilt zur Hilfe. Später denkt noch jemand rechtzeitig daran, Kaffeebohnen in die großen Maschinen nachzufüllen. Das Kühlregal für die Sandwiches ist weitgehend leer. Draußen kommen regelmäßig Kunden vorbei, stehen vor verschlossenen Türen, wundern sich – und drehen ratlos wieder um.

Auch zwei Monate nach der Eröffnung seines ersten deutschen Stores im Berliner Hauptbahnhof (siehe holyEATS #15) kommt Pret A Manger früh morgens nur schwer in die Gänge. Geöffnet wird um Punkt 7 Uhr. Wer drei Minuten vorher schon einen Kaffee will, weil er zum Zug muss, und durch die halb geöffnete Glasschiebetür lugt, wird kritisch gemustert – und kriegt zu spüren, dass es ein Akt der Großzügigkeit ist, schon bedient zu werden. Ab sieben ist dann zwar auf, aber es dauert im Zweifel nochmal eine halbe Stunde, bis sich das Kühlregal mit belegten Sandwiches und Wraps weiter füllt. In schöner Regelmäßigkeit lassen sich Kunden beobachten, die irritiert vor der eingeschränkten Auswahl stehen. (Alles schon leergefuttert? Kann doch nicht sein!)

Irgendeine Vorab-Analyse wird sicher ergeben haben, dass es kein Problem ist, in einem der größten deutschen Bahnhöfe erst dann zu öffnen, wenn bei der Konkurrenz rundherum schon längst die Brötchentüten rascheln und die Kaffeemaschinen mahlen. Daran, dass der Foodcourt der Deutschen Bahn, in die sich Pret ja einfügt, erst später aufmacht, kann’s nicht liegen: Kamps kriegt das nebenan ja auch früher hin.

Vielleicht ist es die Überzeugung, dass sich die Deutschen glücklich schätzen können, überhaupt in den Genuss des Pret-Angebots zu kommen, die die Marke bei ihrer Store-Premiere hierzulande auf einen nicht ganz irrelevanten Teil des werktäglichen Frühstücksgeschäfts mit Pendlern verzichten lässt. Oder es kommt irgendwann noch jemand auf die Idee, dass es sich lohnen könnte, morgens ein Stündchen früher aus den Federn zu kommen. Um die zahlreich am Laden vorbeieilenden potenziellen Kunden nicht direkt zur Konkurrenz zu schicken.


Nachschlag

  • Ikea bietet seine im Frühjahr in Skandinavien eingeführten Lachsbällchen jetzt auch in seinen amerikanischen Restaurants an. (USA Today)
  • Netflix und Amazon Prime helfen kräftig mit, dass die Essenslieferdienste weiter wachsen? Für Großbritannien rechnet die NPD Group 2019 mit bis zu 10 Prozent steigenden Konsumentenausgaben. (NPD Group)
  • So ein Käse: „Cheese Tea“ will der neue „Bubble Tea“ werden. (Eater)
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