holyEATS #24: Wie Espresso House mit Spezialitäten-Kaffee und Skandi-Charme den deutschen Coffeeshop-Markt neu aufrollen will

holyEATS #24: Wie Espresso House mit Spezialitäten-Kaffee und Skandi-Charme den deutschen Coffeeshop-Markt neu aufrollen will

Foto: Espresso House Deutschland
Foto: Espresso House Dtl.
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Balzac wird zu Espresso House – wenn die drei Testfilailen in Hamburg erfolgreich sind.

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I. Blaubeerkuchen trifft Franzbrötchen

Im Innenstadtdschungel zwischen Binnenalster und Mönckebergstraße glänzt Hamburg seit ein paar Wochen mit ungeahnter Gemütlichkeitsaffinität. Wer am Alstertor eine Pause vom Shopping-Trubel braucht, landet fast automatisch mit frisch gebrühtem Kaffee in der Hand und Fellkissen im Rücken zwischen Grünpflanzen und Kaffeesackdeko und wird in tiefe Ledersessel hineingesogen, die niemanden mehr ohne vorherigen Kuchenverzehr freigeben. „Wir glauben, dass jeder Weltklassekaffee verdient“, steht auf einer großen Tafel an der Wand, „Unser House ist dein Zuhause“ und: „Wir sind für dich da.“ Nur wer darauf hofft, dass ihm gleich noch ein Paar Hausschlappen vorbeigebracht werden, wartet vergeblich – im ersten Espresso House Deutschlands.

Mit dem will die Hamburger Coffeeshop-Kette Balzac 20 Jahre nach der Gründung ein neues Kapitel in ihrer Geschichte aufschlagen. Durch Selbstabschaffung, sozusagen.

Mitte Oktober eröffnete die frühere Filiale des Balzac-Ablegers World Coffee gegenüber vom Thalia-Theater nach mehrwöchigem Umbau mit neuer Einrichtung, neuem Angebot, neuem Namen. Statt Fliesentristesse und abgewetztem Sitzmobiliar erwartet Gäste nun ein Ambiente mit skandinavischem Design-Charme. Die Bedientheke wurde nach vorne an den Eingang versetzt. Alles sieht edler aus, einladender, dableibiger.

„Ich weiß nicht, ob Espresso House hierzulande vor zehn Jahren erfolgreich gewesen wäre. Aber ich glaube, die Zeit ist gut, um den Markteinstieg zu wagen“, sagt Geschäftsführer Nikolas Niebuhr – und wird selbst ein bisschen ledersesselverschluckt, als er im Gespräch von seinen Plänen für den Hamburger Coffeeshop-Pionier erzählt.

Anderthalb Jahre ist es her, dass Balzac von der schwedischen Espresso-House-Gruppe übernommen wurde. Die betreibt bislang rund 400 Cafés von Luleå (in Norwegen Schweden) bis Odense (Dänemark) und gehört wiederum zur JAB Holding der deutschen Unternehmerfamilie Reimann, wo man gerade durch Zukäufe ein weltweites Kaffeeketten-Imperium aufbaut (mehr zu den Hintergründen in #holyEATS 8). Letzter Neuzugang war im vergangenen Jahr der britische Sandwichspezialist Pret A Manger. Ausgerechnet Deutschland allerdings blieb für JAB lange ein weißer Fleck auf der Karte. Niebuhr soll das ändern, indem er das in Skandinavien erfolgreiche Espresso House auch hierzulande etabliert. Ohne die bisherige Balzac-Stammkundschaft zu verschrecken. Ein kniffeliger Job.


II. Das schwere Balzac-Erbe

„Uns war von vornherein klar, dass wir nicht den Fehler begehen dürfen, das Konzept eins zu eins nach Deutschland zu übertragen. Dafür sind die Märkte zu verschieden“, erklärt Niebuhr, der im Januar 2018 zu Balzac gekommen ist. Deshalb habe sein Team in den vergangenen zwölf Monaten „eine Plattform gebaut, auf der wir erfolgreiche Elemente aus Schweden mit dem kombinieren können, was Balzac in Deutschland auszeichnet“. Dass die Neupositionierung am Markt nicht unter dem alten Namen geschieht, hat mehrere Gründe. In erster Linie dürfte JAB daran interessiert sein, Espresso House als Marke europaweit zu stärken. (Die in Dänemark übernommenen Baresso-Filialen [PDF] wurden ebenfalls umbenannt.)

Für die deutschen Cafés bedeutet das: ein zeitgemäßeres Design mit erweitertem Sortiment, in dem Balzac-Klassiker genauso Platz haben wie schwedische Backspezialitäten. Und: besseren Kaffee.

Der kommt aus der unternehmenseigenen Rösterei und soll Espresso House Deutschland dabei helfen, sich als Premium-Anbieter im Markt zu etablieren. „Wir wollen uns preislich auf dem Niveau des Wettbewerbs bewegen“, kündigt Niebuhr an, „gleichzeitig aber höhere Qualität und frischere Produkte anbieten als unsere Mitbewerber“. Alle Espresso-House-Deutschland-Mitarbeiter durchlaufen eine Barista-Schulung in der neu gegründeten Akademie in Hamburg, um Gästen glaubhaft Kaffeekompetenz vermitteln zu können. „Es hilft nichts, wenn Sie die besten Bohnen der Welt nehmen, aber dann die Maschine falsch bedienen und zu allem Überfluss noch kalte, abgestandene Milch in den fertigen Kaffee schütten. Alles, was vorher in eine gute Bohne investiert wurde, ist dann zunichte gemacht“, sagt Niebuhr. Und verspricht: „Wir wollen den bestmöglichen Kaffee servieren.“

Das Upgrade ist dringend nötig. Denn die Konkurrenz hat Balzac in den vergangenen Jahren – im wahrsten Sinne des Wortes – ziemlich alt aussehen lassen. Noch 2011 hatten die Hamburger den Wettbewerber World Coffee übernommen; anstatt wie angekündigt zu expandieren, wurden allerdings Filialen geschlossen. Von zusammen 57 Stores in 18 Städten waren zuletzt noch 42 übrig. Die allermeisten davon sind – nicht nur was die Einrichtung angeht – schon seit einer Weile in der Coffeeshop-Vergangenheit hängen geblieben.

Niebuhr formuliert es diplomatischer: Balzac sei „ein erfolgreiches mittelständisches Unternehmen, in das aber in letzter Zeit nicht wesentlich investiert wurde“. Dadurch habe die Kette nicht wachsen können. (Der Jahresumsatz liegt seit Jahren kontinuierlich bei um die 20 Millionen Euro.) Damit musste sich Balzac im Markt nicht nur gegen McCafé (850 deutsche Filialen), Starbucks (156 Cafés), aufstrebende Konkurrenten wie Coffee Fellows (200 Filialen, auch dank der Kooperation mit Tank & Rast) und regionale Herausforderer (Campus Suite in Hamburg, Kaffee Einstein und Caras in Berlin) behaupten. Sondern auch gegen die Bäcker, die im deutschen Außer-Haus-Markt immer noch die größten Brötchen backen.


III. Besser als die Bäcker

Der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks meldete zuletzt 11.347 backende Betriebe in Deutschland; die Zahl ist zwar seit Jahren rückläufig, aber nur, weil sich der Markt weiter konzentriert. Alleine die fünf größten Bäckereien verfügen gemeinsam über sehr viel mehr Filialen als sämtliche hierzulande relevanten Coffeeshop-Ketten zusammen. Dazu verschwimmen die Grenzen. Auch Bäcker bieten Kunden inzwischen gemütlich eingerichtete Cafés. Die gestiegene Aufenthaltsqualität hilft, bei zurückgehender Gästezahl den Durchschnittsbon zu erhöhen. Das ist nicht das einzige, was die Coffeeshops erfolgreich vorgemacht haben.

„Die Bäcker haben in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten durchaus erkannt, dass sie ihren Kunden besseren Kaffee anbieten müssen“, sagt Niebuhr – und weiß, wovon er redet. Bevor ihn die Schweden holten, war er als Leiter für strategische Projekte und Expansion bei BackWerk tätig, arbeitete zuvor viele Jahre für Kamps. Fakt sei aber auch, so Niebuhr weiter, dass in vielen Bäckereien immer noch Vollautomaten stünden, meistens mit Standardbohnen gefüllt. „Für den Mainstream mag das ausreichen. Aber wenn Sie Wert auf wirklich hochwertigen Kaffee legen, gehen Sie nicht zum Bäcker.“

Zugleich haben es viele Coffeeshops lange versäumt, ihren Gästen eine bessere Auswahl an Snacks und Süßem anzubieten. Balzac ist dafür ein Paradebeispiel. Niebuhr will schnell aufholen. Rund 70 Prozent des Food-Angebots bei Espresso House Deutschland sind neu. „Mit Backwaren aus unserer eigenen Bäckerei in Malmö heben wir uns vom gesamten Wettbewerb ab. Versuchen Sie mal, hier in der Gegend einen Mud Cake, einen richtigen Blaubeerkuchen oder einen echten Chocolate Ball zu kaufen“, sagt er. Wer lieber isst, was er kennt, muss trotzdem nicht zum Bäcker um die Ecke geschickt werden. Franzbrötchen, Laugenbrezel und Banana Bread bleiben im Angebot. Niebuhr ist überzeugt: „Der Markt für Backwaren ist immer ein lokaler Markt mit lokalen Bedürfnissen.“

Das gilt erst recht für die unterschiedlichen Vorlieben der Gäste in den einzelnen Espresso-House-Ländern. „In Stockholm würden die Kollegen nie auf die Idee kommen, Brezeln ins Sortiment aufzunehmen. Umgekehrt ist der Kuchen, den die Kunden dort mögen, für den deutschen Geschmack sehr süß – den könnten wir hier sehr schwer verkaufen. Das Wichtigste ist, diese Vorlieben zu erkennen, zu verstehen und entsprechend darauf zu reagieren.“

(Obwohl es sicher reizvoll wäre, die Reaktionen der Schweden abzuwarten, wenn man ihnen ein für den deutschen Markt entwickeltes „Bauernbrötchen“ in die Theke legen würde.)

Anders als in Skandinavien sollen in den deutschen Filialen zudem Öfen fest zur Ausstattung der Cafés gehören. Niebuhr: „Uns war klar, dass wir auch den klassischen Bäcker-Kunden abwerben müssen, wenn das Konzept funktionieren soll. Das geht aber nur mit frisch gebackenen Waren – und genau dafür brauchen wir sichtbare Öfen.“

Zusätzlich ist das bei Balzac lange vernachlässigte Lunch-Angebot deutlich aufgestockt worden – mit Bowls, belegten Bagels, Foccaccias, Wraps. „Bei vielen Stammkunden dauert es eine gewisse Zeit, bis sie verstanden haben, dass sie um 16 Uhr bei uns auch einen frischen Salat essen können“, sagt Niebuhr. Es sei aber wichtig, dass man Gästen jetzt ein Angebot machen könne, „das zu fast allen Tageszeiten passt“. Das hat – trotz der Zusicherung, nicht teurer als die Coffeeshop-Konkurrenz sein zu wollen – seinen Preis. Der Chicken Hickory Bagel kostet 4,70 Euro, das Avocado-Baguette gibt’s für 4,20, Mini-Bowls mit Hummus für 3,90 Euro, den Caesar Salat für 6,90 Euro. Kein kleines Risiko bei den sonst so preissensiblen deutschen Kunden und den Anstrengungen der großen Supermärkte und Discounter, Backsnacks zum Niedrigpreis in riesiger Auswahl zu bieten.

„Ich glaube, die Deutschen sind bereit, etwas mehr Geld für Qualität auszugeben“, ist sich Niebuhr sicher. Um zu beurteilen, wieviel genau, sei das Konzept „noch zu frisch“. „Aber wir wissen, dass die Leute zu uns kommen, um einen guten Cheesecake, einen guten Bagel, einen sehr guten Kaffee zu bestellen. Sie wollen sich etwas gönnen.“

Nach und nach wird das neue Sortiment auch in den alten Balzac-Filialen angeboten, wo bereits jetzt der Espresso-House-Kaffee durch die Siebträgermaschinen läuft. Niemand soll sich von heute auf morgen komplett umgewöhnen müssen. „Ziel ist es, den Gästen nach dem Umbau mit einem sehr viel gemütlicheren Ambiente zu imponieren, sie im Sortiment aber weiter das finden zu lassen, woran sie sich gewöhnt haben“, sagt Niebuhr.


IV. Funktioniert das auch in klein?

Im Pilot-Shop scheint diese Rechnung aufzugehen. Dort ist die Zahl der täglichen Gäste stark gestiegen. „Wir sehen am Alstertor, dass sich der Durchschnittsbon in Richtung 7 Euro pro Kunde entwickelt.“ (Vorher waren es 4,50 Euro.) Im Sortiment Bakery & Sweets sei das Wachstum bislang am größten. Die Filiale in der Hamburger Innenstadt gilt bei Espresso House bereits jetzt als die mit der größten Umsatzsteigerung nach Umbau.

Doch der Erfolg ist mit Vorsicht zu genießen. Auf zwei Etagen und 290 Quadratmetern kommt das neue Konzept optimal zur Geltung. Die meisten Balzacs haben aber längst nicht so viel Platz, um große Ledersofas aufzustellen und schicke Kronleuchter aufzuhängen. Wenn Espresso House in Deutschland erfolgreich sein will, dann müssen Ideen auch auf 55 Quadratmetern zünden.

Niebuhr sagt, die Filiale am Alstertor habe man bewusst ausgesucht, um dort alle Möglichkeiten zu testen. Auf dieser Basis werde ein Plan B für sehr viel kleinere Läden erarbeitet – „etwa indem wir ausprobieren, die Produktion, zum Beispiel von frischen Wraps, an einem nahe gelegenen größeren Standort miterledigen zu lassen“, um Platz zu sparen. Mit den anderen beiden Test-Shops wird schon jetzt ausprobiert, wie Kunden an unterschiedlichen Standorten auf die Neuerungen reagieren. Das zweite deutsche Espresso House in den Kurzen Mühren hinterm Hauptbahnhof muss im Erdgeschoss mit deutlich kleinerer Grundfläche auskommen – wäre aber auch ohne die zusätzliche Etage obendrüber funktionabel; im Pöseldorf Center ist Espresso House Nummer drei Anlaufstelle für Leute aus dem Stadtteil.

„Wir schauen uns jetzt sehr genau an, wie erfolgreich das Konzept in den ersten drei umgebauten Filialen ist“, erklärt Niebuhr. „Der Feinschliff kommt im nächsten Schritt. Zunächst wollen wir lernen, was wir verändern und verbessern können.“ Bis zum Ende des ersten Quartals will Niebuhr die wichtigsten Fragen beantwortet haben.

Vorher soll im Laufe des Januars aber noch die neue App starten, mit der Kunden nicht nur Bonuspunkte sammeln können und Angebote aus dem nahegelegenen Café aufs Display gepusht kriegen; auch die Bezahlung per App wird dann möglich sein. „[Damit] sind wir im deutschen Markt definitiv ein paar Schritte weiter als der Wettbewerb“, sagt Niebuhr, „aber wir wissen auch, dass sich das sehr schnell ändern kann“.


V. Erst lernen, dann wachsen

Vor der angekündigten Umbaubilanz hält sich Niebuhr auch mit Auskünften zu Expansionsplänen zurück, sagt lediglich: „Natürlich ist es unser Ziel, mittelfristig neue Standorte zu eröffnen. Zuerst einmal müssen wir beweisen, dass das Konzept von Espresso House Deutschland von unseren Gästen angenommen wird.“ Soviel Geduld klingt vernünftig. Beliebig lange werden sich die Schweden in Deutschland aber nicht Zeit lassen können, um zur Konkurrenz aufzuschließen – insbesondere in Süddeutschland, wo Balzac nach der kürzlichen Schließung seiner einzigen Münchner Filiale nun gar nicht mehr vertreten ist. Dort wieder Fuß zu fassen, dürfte eine Herausforderung werden.

Weil die Mietverträge bereits unterschrieben waren, wird es 2019 aller Zurückhaltung zum Trotz zwei Neueröffnungen geben, wieder im Norden. In Hamburg-Barmbek zieht Espresso House in den S-Bahnhof ein; an der Nordwestseite des Bahnhofs Altona folgt Filiale Nummer fünf, die sich der Fußgängerzone zugewandt nicht nur an Reisende richtet, wie Niebuhr verspricht: „Wir wollen auch der Coffeeshop für die Nachbarschaft sein.“

Und wenn alles klappt wie gehofft, wird ab Frühjahr auch in anderen Städten umgebaut? „Wir machen unsere Hausaufgaben zuerst in Hamburg“, sagt der Balzac-Chef. Womöglich müssen sich Stammkunden in Städten wie Berlin, Düsseldorf, Hannover, Kiel und Wiesbaden also noch etwas gedulden, bis sie von tiefen Ledersesseln verschluckt werden können. Es sei denn, clevere Wettbewerber haben sich vorher schon wieder alles abgeschaut, was jetzt bei Espresso House Deutschland funktioniert.

„Vielleicht können das die Bäcker alles auch – in zehn Jahren“, räumt Niebuhr ein. Und ergänzt mit einem Lächeln: „Ich war gerade in Stockholm. Natürlich arbeiten die Kollegen da bereits am nächsten Schritt des Konzepts.“

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